U.v.Beckerath

18.8.1958.

 

Lieber Herr Humbert,

 

die groessten Reformen sind leicht durchzusetzen, wenn die bestehenden Missstaende von einer fremden Macht eingefuehrt sind. Voraussetzung ist allerdings, dass die Missstaende als solche erkannt sind.

      Frankreich hat den Marokkanern zwei Missstaende sehr schlimmer Art auferlegt

      1.) Hat Frankreich den Marokkanern das Wertmass vorgeschrieben. Das Wertmass war schlecht, fuer Marokko ganz ungeeignet, es konnte jeden Tag nach dem Ermessen der "zustaendigen" Bank veraendert werden: es war der Papierfranc.

 

      2.) Der Papierfranc war nicht nur Wertmass, er war auch das vorgeschriebene Zahlungsmittel.

 

      Vielleicht hat die franzoesische Regierung nicht einmal erkannt, dass das fruehere, marokkanische Geldsystem besser war als die von Frankreich auferlegte Papierwaehrung. Die auferlegte marokkanische Papierwaehrung war naemlich von der franzoesischen dem Wesen nach nicht verschieden.

 

      Die Missstaende waren dadurch vermindert, dass die Untertanen sich nicht viel im die franzoesischerseits auferlegten Geldgesetze bekuemmerte. Auslaendische Edelmetallmuenzen aller Art gingen von Hand zu Hand.

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In neuester Zeit hat sich die marokkanische Staatsbank voellig von Frankreich emanzipiert. Aber die schon unter der franzoesischen Herrschaft langsam fortschreitende Entwertung des Papiergeldes durch Ueberemission wird voraussichtlich weiter fortschreiten, und der Mangel an Zahlungsmitteln auf dem Lande kann durch eine Zentralnotenbank ueberhaupt nicht beseitigt werden. Ich will hierueber keine theoretischen Betrachtungen anstellen sondern Ihnen nur meine Meinung ueber das darlegen, was Ihre marokkanische Genossenschaft tun muesste, um nicht dem Geldsystem zun Opfer zu fallen. Die beste Technik der Bodenbestellung, die Schaffung von Export-Industrien, die Hebung des Bildungsstandes und die Schaffung von Verkehrswegen helfen naemlich nichts, wenn der Austausch durch das Geldsystem behindert ist.

      In Tunis hat das auch dort eingefuehrte, franzoesische Geldsystem rd. 1/6 aller Tunesier arbeitslos gemacht. In Algerien war der dritte Teil des Volkes arbeitslos, als der Aufstand begann. Wenn sich die neue Genossenschaft um solche Dinge nicht bekuemmert, dann wird sie ebenso von Arbeitslosigkeit betroffen werden wie so viele andere Unternehmungen in Nordafrika betroffen worden sind.

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      Es ist immer Ihr Ziel gewesen, das Volk zahlungsfaehig zu erhalten, gleichgueltig, ob die Zentralnotenbank es fuer richtig haelt, kuenstlich Arbeitslosigkeit und Austausch-Hemmungen zu schaffen ("Daempfung der Konjunktur"  genannt), ob die Umlaufsmittel aus irgend einem Grunde gehortet werden, oder ob sie exportiert werden. Sie haben voellig recht: es muss ein System angewendet werden, bei welchem der Arbeitnehmer seinen Lohn bekommt, der Arbeitgeber die zur Erfuellung seiner Aufgaben noetigen Einmahnen hat, und die Waehrungskunststuecke unwissender Minister ohne Einfluss auf die Oekonomie derjenigen bleiben, die ernstlich gewillt sind, den Austausch mit ihren Mitbuergern aufrecht zu erhalten.

      Frage: welches System ist anzuwenden?

      Antwort: Die Verallgemeinerung der folgenden Beispiele ist leicht und laesst das System erkennen.

 

      Angenommen, die Genossenschaft bestellt in Frankreich einen grossen Windmotor von der Art, wie sie jetzt schon in Marokko viel gebraucht werden und das Land von den Kohlenbergwerksbesitzern und von den Oelquellenbesitzern unabhaengig machen, natuerlich nur in dem Ausmass, wie sie gebraucht werden.

      Der Windmotor wird auf Abzahlung geliefert. Die einzelnen Abzahlungen werden zurzeit durch Wechsel finanziert, ganz wie es beim Ankauf von Autos ueblich ist. Der wesentliche Inhalt des Wechsels ist:

An dem (folgt Datum) zahle ich an (folgt die Adresse des Glaeubigers) den Betrag von (folgt der Betrag).

Diesen Text ersetzt die Genossenschaft durch folgenden Text:

"An dem (folgt Datum) befriedigen wir unsern Glaeubiger (folgt Adresse) in Bezug auf unsere an dem bezeichneten Tage faellige Schuld nach unserer Wahl entweder dadurch, dass wir ihm den genannten Betrag in landesueblichen oder ortsueblichen Zahlungsmitteln in handelsueblicher Weise zukommen lassen, oder aber wir nehmen diese Schuldurkunde von dem bezeichneten Tage an wie bares Geld in Zahlung, wenn uns jemand unsere Waren damit abkaufen will.

Die letztere Verpflichtung erlischt 3 Monate nach dem oben bezeichneten Faelligkeitstage. Jedoch wird die Genossenschaft sich dann bemuehen, den Inhaber der Urkunde so zu stellen, dass er keinen Schaden erleidet, den er sich selbst verschuldet hat. Die Art, wie dies zu geschehen hat, bestimmt die Genossenschaft.

      An dem genannten Tage hat jeder Inhaber dieser Schuldurkunde das Recht, von der Genossenschaft eine Erklaerung darueber zu verlangen, wie ihn die Genossenschaft in seiner Eigenschaft als Glaeubiger befriedigen wird.

      Die Genossenschaft ist auch verpflichtet, auf Wuensch des Inhabers der Schuldurkunde sie gegen Urkunden gleicher Art umzutauschen, die auf kleinere Betraege lauten, die im Verkehr leichter anzubringen sind."

 

(Arm. von J.Z.: Das Bareinloesungsversprechen sollte an die zweite Stelle, nach dem Verrechnungsversprechen, gesetzt werden und als erfuellbar nur aus den Barmitteln die der Genossenschaft dann fuer diese Zwecke zur Verfuegung stehen wuerden. Die Verrechnung sollte also als der hauptsaechliche und regelmaessige Fall hingestellt werden, damit nicht zu viele Glaeubiger, aus der alten Denkgewohnheit, das erstere erwarten wuerden und in dem Verrechnungsangebot nur eine selten gebrauchte Garantie sehen wuerden.

Eine Erklaerung ueber die Verrechnungsmoeglichkeiten mit diesen Schuldurkunden sollte nicht erst am Faelligkeitstage faellig werden, sondern sofort, mit der Ausgabe der Verrechnungsurkunde. Am Faelligkeitstage sollte nur ein dann gueltiges Verzeichnis der Schuldner des Ausstellers  auf Verlangen faellig sein, ja sogar schon einige Tage zuvor.

Annahme in der Zwischenzeit von Stuecken der gestueckelten Schuldurkunde, in Raten, waere wohl auch ratsam.  J Z, 28/3/83.)

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      Handwerker-Rechnungen, Einkaeufe auf den Maerkten und - - nach voraufgegangener Verstaendigung mit der Finanzbehoerde - - die Steuern sowie Eisenbahn-Dienstleistungen und Briefmarken bezahlt die Genossenschaft mit Gutscheinen, die den Aufdruck tragen:

 

"Diesen Gutschein nimmt die Genossenschaft in der Zeit vom (Datum) bis (3 Monate spaeter) wie bares Geld in ihrem Zahlungsverkehr an. Diese Verpflichtung gilt auch fuer die Kantinen der Genossenschaft und fuer die von ihr betriebenen Verkaufsstellen anderer Art."

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Zu Beginn ihrer Taetigkeit lauten alle Scheine wie die vorbezeichneten auf Landeswaehrung. Spaeter wird es moeglich sein, sie auf Gramm Silber oder Gramm Gold auszustellen und dann z.B. aufzudrucken:

 

"Diesen Gutschein nimmt die Genossenschaft wie (z.B. 50) Gramm Silber in typisierter und beglaubigter Form an, wenn er ihr bei Einkaeufen als Zahlungsmittel eingereicht wird." Dann folgt die zeitliche Begrenzung.

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      Die zeitliche Begrenzung der Gueltigkeit auf 3 Monate entspricht einem Vorschlag von Professor Milhaud in Genf. Milhaud wies mit Recht darauf hin, dass durch diese einfache Bestimmung das Horten der Scheine sehr viel wirksamer verhindert wird als durch das Wertmarken-Klebe-System von Silvio Gesell. Das Milhaud'sche System erfordert auch keine zusaetzliche Verwaltungsarbeit. Ferner: Der Schein behaelt waehrend seiner ganzen Laufzeit unveraendert seinen Nennwert.

Gegen die relative Kuerze der Frist wandte ich zunaechst einiges ein und hatte darueber einen kurzen Briefwechsel mit Prof. Milhaud. Er zerstreute aber alle meine Bedenken, und ich bin jetzt voellig seiner Meinung.

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Das ganze System laeuft darauf hinaus, den Wert eines Umlaufsmittels nicht auf einen Goldschatz oder einen Silberschatz zu gruenden, welcher die Einloesung  sicherstellt. Die Bereitschaft des Ausgebers, die Schuldurkunde in seinem Zahlungsverkehr wie bares Geld anzunehmen, ersetzt den Einloesungsfonds (das Wort im ueblichen Sinne genommen) voellig.

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Um die Bedeutung der Milhaud'schen Erfindung recht zu erkennen, stelle man sich vor, eine Anzahl Einkaufsscheine der Genossenschaft im Gesamtwerte von z.B. l Million DM geriete nach Hongkong. Die Chinesen erkennen sofort, dass man fuer diese Scheine landwirtschaftliche Produkte im Wert von l Mill. DM in Marokko kaufen kann. Gleichzeitig stellen sie fest, dass etwa Indien diese Produkte noetig hat. Die Chinesen verkaufen also die Schuldscheine an der Boerse zu Bombay, vielleicht mit einem Rabatt von 1%. Die Inder verwenden dann die Schuldscheine als Einkaufsscheine ("Bons d'echat") in Marokko.

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Nach den mir bekannten Devisengesetzen diverser Laender waeren die Einkaufsscheine Devisen, bestimmt z.B. in Deutschland.

Alle Laender und ihre Einwohner wollen heute liefern. Im Aussenhandel ist jedes Zahlungsmittel recht, wenn es nur seinen Namen verdient. Der Aberglaube, dass man z.B. Waren aus den USA nur gegen Dollars erhaelt, haben die USA laengst beseitigt, wenn auch zunaechst nur fuer Lebensmittel. Die USA erlauben jedem Land auch anders als in $ zu zahlen, z.B. in eigner Waehrung.

Die absolute Notwendigkeit des (kapitalistischen) Auslands, zu   verkaufen, ganz gleichgueltig welches das Zahlungsmittel ist, wenn es nur realen Wert hat, diese Notwendigkeit wird von den hilfsbeduerftigen Laendern viel zu wenig ausgenutzt. Darauf hinzuwirken, dass gerade Marokko diese Schwaeche des Kapitalismus gruendlichst ausnutzt wird die Aufgabe der Genossenschaft sein.                                            ------

Die Genossenschaft wird sich bemuehen, langfristige Lieferungsvertraege abzuschliessen, etwa mit Hotels (nicht nur in Marokko), mit Kantinen und mit Laeden. Auch wird sich die Genossenschaft bemuehen, dass moeglichst viele Laeden und andere Unternehmungen Plakate aushaengen, auf denen steht: "Hier werden Schuldurkunden und Gutscheine der Genossenschaft XYZ nach dem Faelligkeitstage wie bares Geld angenommen." Das wird leicht zu erreichen sein. Der Unsatz der betr. Firmen wird durch solche Plakate erheblich steigen.

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Publikationen Milhaud's, (Annales de l'econcmie collective), Zander's,  Rittershausens und meine eignen sind in franzoesischer Uebersetzung erschienen im Verlag Librarie Du Receuil Sirey, Paris. 22 rue Soufflot.

 

 

Mit bestem Gruss

U.v.Beckerath.

gez. Bth.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 2080-2082.